Wie verändert sich CRM und was für einen Einfluss hat KI dabei? Ein CRM-Experte spricht darüber, was die Herausforderungen, die technischen Veränderungen im CRM heute sind und wie KI das CRM verändert.
Künstliche Intelligenz (KI) ist kein Science-Fiction mehr. Im Customer Relationship Management (CRM) verändert sich gerade einiges. Customer Data Platforms, Maschinelles Lernen und KI sind die Begriffe, die jeder Manager kennen muss. Wir haben einen Experten zu seiner Einschätzung gefragt: Jörg Helferich ist freier CRM Berater und etablierter Experte für modernes CRM im eCommerce. Über seinen BWL Background und der quantitativen Marktforschung, ist er über das (Offline) Direktmarketing zum (Online) CRM gekommen. Neben vielen Start-Up Projekten gerade zu Beginn, ist er heute in vielen Corporate CRM Projekten unterwegs. Jörg Helferich hat in den letzten Jahren mehr als 35 Projekte erfolgreich betreut.
datasolut-Gründer Laurenz Wuttke hat mit ihm gesprochen – nicht nur über den aktuellen Stand im CRM, sondern auch über ihre künftige Entwicklung.
LW: Hallo Jörg, wie würdest du deine Haupttätigkeiten beschreiben?
Gerade in den letzten Jahren haben eher technische Themen zugenommen – klassischerweise Auswahlprozesse und Implementierungen von CRM bzw. Kampagnenmanagement Systemen oder anderen Tools aus dem Marketing Tech Stack – geht es auch nach wie vor häufig um das Thema Customer Lifecycle Management, Kundensegmentierung und -wert, Marketing Automatisierung, Kampagnen-Management, aber auch das ganze Thema Reporting. Welche KPIs sollte ich mir im CRM anschauen und wie bekomme ich diese idealerweise in den Griff?
LW: Also bekommst du tiefe Einblicke in die moderne CRM und E-Commerce-Welt?
Ja, gerade das ist ein echter Vorteil der Selbständigkeit! Durch die Vielzahl an verschiedenen Projekten, den variierenden Geschäftsmodellen und der damit jeweils anderen Gewichtung der Problemstellung lernt man im Laufe der Zeit das ganze Spektrum irgendwie kennen. Jeder Jeck ist doch irgendwie auch anders: Vieles funktioniert überall so oder so ähnlich, anderes dagegen eher nicht.
LW: Wie hat sich aus deiner Sicht das Customer Relationship Management (CRM) in den letzten 3 Jahren verändert?
Die Frage beschäftigt mich immer wieder. Das „Lustige“ am CRM ist ja, dass bei allem vermeintlich Neuen, auch dem ganzen „Bullshit Bingo“ da draußen, das Thema Bestandskundenentwicklung gefühlt schon „uralt“ ist… Man muss sich nur mal den „tradierten“ Versandhandel anschauen.
Bei aller Diskussion zum Thema Digitalisierung oder besser „verschlafener Digitalisierung“… Wie man seine Bestandskunden segmentiert, gezielter anspricht, sich über Affinitäten Gedanken macht, überhaupt mal einen „Kundenwert“ bestimmt.. Da sind viele vermeintlich „alte“ Versandhändler methodisch – nicht zwangsweise auch in der Exekution – viel weiter vorne als die vermeintlich jungen, wilden.
„Der kreative Marketeer – jetzt mal überspitzt formuliert – hat zunehmend die Schwierigkeit, sich immer tiefer mit Technologie auseinandersetzen zu müssen.“
Jörg Helferich
Was sich schon seit längerem verändert oder besser abzeichnet ist, dass CRM mehr und mehr ein „Tech Game“ wird. Mehr Möglichkeiten mit dem Kunden zu interagieren bedeutet, immer mehr Informationen, also Daten, gewinnen zu können. Gleichzeitig aber auch, dass immer neue Kanäle im berühmten „Kommunikations-Orchester“ dazukommen. Das noch einigermaßen handeln zu können bedeutet, dass entsprechende Technologien vorhanden sein müssen.
Der kreative Marketeer – jetzt mal überspitzt formuliert – hat zunehmend die Schwierigkeit, sich immer tiefer mit Technologie auseinandersetzen zu müssen. So entsteht gerade in den letzten Jahren eine enorme Nachfrage nach eher technisch versierten CRM`lern. Diese Entwicklung ist schon enorm spürbar da draußen und wird sich meines Erachtens noch verschärfen!
LW: Was für einen Wert haben „1st Party Kundendaten“ aus deiner Sicht?
Neben dem gerade beschriebenen „Tech Game“ ist das Thema Kundendaten, oder besser noch der Appell „Own Your Data“, eine der wichtigsten Augaben des CRM, der massiv an Relevanz gewinnt und meines Erachtens über Kurz oder Lang überhaupt die Grundvoraussetzung für erfolgreiches CRM sein wird. Klar waren Daten schon immer die Basis für gutes CRM. Aber durch die steigende Anzahl an Touchpoints, damit einhergehend unzählige Datenquellen, aber gleichzeitig auch die steigenden rechtlichen Anforderungen wird die Herausforderung, überhaupt Daten ordnungsgemäß zu sammeln, aber deren Menge auch sinnstiftend verarbeiten zu können, immer größer.
„Mangelnde 1st Party Data wird aus meiner Sicht das dickste Brett für uns CRM`ler werden.“
Jörg Helferich
Die Zweite „offene Flanke“ beim Thema Kundendaten ist das Thema Plattformökonomie. Bei allem Verständnis dafür, dass ich über die großen Plattformen exzellent – wenn auch zunehmend unfassbar teuer – Neukunden für mich gewinnen lassen, stellt sich das böse Erwachen doch auch recht schnell ein. Ich habe zwar meine Neukundenziele erreicht, aber was dann? Eine Kundenbeziehung aufzubauen und natürlich auch gewinnbringend zu monetarisieren – also die Kernaufgabe für mich im CRM – wird einfach zunehmend schwer, wenn nicht unmöglich, sobald ich keinen direkten Zugang zu „meinen“ Kunden mehr habe… Mangelnde 1st Party Data wird aus meiner Sicht das dickste Brett für uns CRM`ler werden.
LW: Du hilfst Unternehmen bei der Gestaltung digitaler Customer Journeys. Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen in der Abbildung der (digitalen) Customer Journey?
Ich finde schon, dass viele Unternehmen die Customer Journey gut durchleuchten und sich entsprechende Gedanken machen. Auch die Datensammlung sehe ich häufig schon auf sehr hohem Niveau. Viele der „neuen“ Technologien (nehmen wir mal als Beispiel den aktuellen Hype um Customer Data Platforms) machen die Sammlung ja auch zunehmend einfach. Was ich immer noch mitunter echt verrückt finde ist, dass aus den ganzen gesammelten Daten auf gut deutsch „nix gemacht wird“. Lassen wir das Problem der 3rd Party Data durch die Plattformen wie Facebook, Amazon etc. außen vor.
Alleine was ich als E-Commerce`ler aus meinen eigenen Transaktionsdaten herauslesen bzw. -arbeiten kann, ist schon unfassbar. Da sende ich heute in meinem Lifecycle Management allen Erstläufern nach 21 Tagen eine E-Mail inkl. Gutschein zur Zweitkaufaktivierung. Egal was die gekauft haben, völlig außen vor, ob das auf Basis z.B. der Menge des Erstkaufs überhaupt schon wieder Sinn macht… Und solche einfachen Themen lassen sich doch heute „datengetrieben“ schon viel, viel besser machen! Auch wenn das ein recht triviales Beispiel ist. Ich glaube, die Fähigkeit aus unendlichen Daten, die ich nach wie vor ja noch erheben kann, echte Optimierungen zu erzielen, ist noch nicht so verbreitet, wie sie es sein könnte bzw. sollte!
LW: Wie schätzt du die DSGVO für die Bestandsentwicklung ein?
Das Thema DSGVO und was da noch in den nächsten Jahren im Hinblick auf Datenschutz völlig zu recht kommen wird, schafft im ersten Augenblick zunächst Mal eine klare Herausforderung für das ganze Thema Kundenbedürfnisse und Personalisierung. Aber so schwarz wie es an mancher Stelle gemalt wird, ist es am Ende glaube ich auch nicht.
Viele datengetriebenen Optimierungen, gerade im Bereich KI, lassen sich doch auch mit anonymisierten Daten noch realisieren. Klar macht es die DSGVO gerade auch im Hinblick auf Datensammlung zunehmend schwieriger; ich glaube aber es gibt nach wie vor so viele Möglichkeiten mit meinen 1st Party Daten mein CRM signifikant zu verbessern, dass die DSGVO keinesfalls als genereller Show Stopper oder gar als „Entschuldigung“ für schlechtes CRM herhalten kann!
LW: Vor welchen Herausforderungen stehen die Unternehmen in den nächsten Jahren?
Im CRM schließt sich das ein bisschen an das vorher beschriebene an. Ich brauche zunehmend Mitarbeiter mit sehr gutem technischen Verständnis, denn CRM ist und wird noch viel stärker ein „Tech Game“. Die Trennung im Tech Stack nach „Neukundengewinnung“ und „Bestandskundenbearbeitung“ löst sich zunehmend auf und das macht es vor allem technologisch nicht zwangsweise leichter.
Daneben sprechen alle schon seit Jahren von Kundenbedürfnissen, Personalisierung etc. Hierfür muss ich aber zuallererst mal meine eigenen Daten im Griff haben und entsprechend analysieren, bevor ich mir zu viele Gedanken mache, was warum nicht mehr geht… Also klarer Appell: Beschäftigt Euch mit dem naheliegenden, nämlich den eigenen Daten, um individueller mit Kunden zu kommunizieren und die Monetarisierung der Bestandskunden zu steigern. Der Druck auf das CRM wird angesichts der beschriebenen Entwicklungen durch die Plattformökonomie meiner Einschätzung nach spürbar größer werden!
„…dann ist KI im CRM nichts anderes, als aus bestehenden Daten maschinengestützt zu lernen, wie sich meine Kunden zukünftig verhalten werden.“
Jörg Helferich
LW: Künstliche Intelligenz ist überall: oft nur ein Buzz-word! Was steckt aus deiner Sicht dahinter? Und wie viel Mehrwert siehst du in künstlicher Intelligenz für die Kundenentwicklung?
Für mich – wie glaube ich aus meinen Antworten zuvor auch deutlich wird – ist das Thema Künstliche Intelligenz eine Kernkomponente des CRMs der Zukunft. Klar ist da draußen viel „Fancy Stuff“ dabei, aber wenn ich es mal für mich auf das Wesentliche reduziere und in verständlichen Worten ausdrücke, dann ist KI im CRM nichts anderes, als aus bestehenden Daten maschinengestützt zu lernen, wie sich meine Kunden zukünftig verhalten werden. Was gibt es denn Besseres für mich, als wenn ich einigermaßen vorhersagen kann, ob, wann und was mein Kunde wohl in den nächsten 4 Wochen kaufen wird? All diese Fragestellungen lassen sich mittels KI aus meiner Erfahrung deutlich besser Beantworten, als mich hier vollkommen auf mein Bauchgefühl oder im Worst Case – auf nicht-vergleichbare Erfahrungen zu verlassen.
LW: Was machen Unternehmen hier noch falsch?
Das einzige was ich als „falsch“ ansehen würde hier ist, dass Unternehmen viel zu wenig oder de facto noch gar nichts machen! Durch das ganze Buzz-Wording entsteht immer der Eindruck, Künstliche Intelligenz beherrschen nur die krassesten Nerds überhaupt und der „einfache“ CRM’ler kann das gar nicht durchholen 😉
Dann schafft man sich vielleicht eine Recommendation Engine an, um wenigstens guten Gewissens sagen zu können, „klar doch – KI machen wir auch“. Das halte ich für Quatsch! Ich will die Komplexität gar nicht kleinreden, aber einmal isoliert betrachtet für „mein“ Thema – also CRM – sind die Anforderungen doch ziemlich klar beschreibbar und für die Umsetzung findet sich doch jetzt schon entsprechende Unterstützung.
Data Scientists sind vielleicht heute noch rar, aber da wird sicherlich in Zukunft einiges kommen. Und bis dahin finde ich externe Unterstützung, die mir idealerweise hilft, inhouse Know How in meinen BI / Data Teams aufzubauen. So oder so kann ich aus meiner Erfahrung nur jedem CRM`ler ans Herz legen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, denn mittelfristig kann ich ohne tiefes Verständnis meines Kunden und dessen Bedürfnisse kein richtig gutes CRM umsetzen. Und dabei hilft mir der maschinen-gestützte Ansatz enorm!
LW: Jörg, vielen Dank für die tiefen Einblicke in die CRM Welt.
Wer mit Jörg Helferich direkt in Kontakt treten möchte, kann das hier tun!