Churn – die Abwanderung von Kunden – ist ein Schreckgespenst für Unternehmer. Zugleich ist sie Realität und kann den wirtschaftlichen Erfolg erheblich schmälern. Die Churn Prevention hat das Ziel, Tendenzen zur Abwanderung schon vor einer Kündigung zu erkennen und Kunden aktiv zu halten. Je nach Situation eignen sich dafür spezifische Maßnahmen. In diesem Artikel finden Sie alle relevanten Schritte zu Churn Prevention.
Lassen Sie uns direkt in das Thema Churn Prevention einsteigen.
1. Definition: Was ist Churn Prevention?
Bei der Churn Prevention – auch Abwanderungsprävention oder Kündigerprävention – geht es darum, die Abwanderung eines Kunden – z.B. durch Kündigung eines Vertrags zu vermeiden oder zeitlich hinauszuschieben.
Sie steht damit einen Schritt vor der Kündigerrückgewinnung. Während diese darin besteht, eine bereits ausgesprochene Kündigung rückgängig zu machen oder einen ehemaligen Kunden zurückzugewinnen, soll die Churn Prevention die Kundenabwanderung bekämpfen, bevor sie geschieht.
Hierbei macht es einen erheblichen Unterschied, wie das Verhältnis zwischen Kunde und Unternehmen aussieht. In Vertrags- oder Abonnementbeziehungen, wie in der Telekommunikationsbranche oder bei Versicherungen, die als Erfinder der Churn Prevention gelten, ist die Kundenbeziehung klar definiert.
Zudem gibt es in Form der Kündigung eine eindeutige Erklärung des Kunden, das Vertragsverhältnis zu verlassen – die Abwanderung erfolgt gewissermaßen mit Ansage.
Im E-Commerce ist das grundlegend anders, da hier kein Abonnement besteht. Vielmehr ist die Kundenbindung durch mehr oder weniger regelmäßige Einkäufe charakterisiert. Eine Abwanderung muss hier indirekt nach einer uncharakteristisch langen Zeit ohne Einkäufe festgestellt werden.
Wir wollen uns hier besonders auf das klassische Feld der Churn Prevention in einem Kontext von Verträgen oder Abonnements fokussieren. Ein Großteil der Ansätze lässt sich jedoch auch auf den Kontext des E-Commerce übertragen.
2. Warum ist Churn Prevention wichtig?
Churn Prevention ist für Unternehmen ein wichtiges Element im Kundenbeziehungsmanagement, da es dabei hilft, Kunden länger an das Unternehmen zu binden. Besonders bei Subscriptions, Abonnements und längeren Vertragsbeziehungen, bei denen hohe Akquisitionskosten für Neukunden refinanziert werden müssen, trägt Churn Prevention zum Unternehmenserfolg bei.
Es fällt leicht, die Auswirkungen von Customer Churn zu unterschätzen. Doch schon eine scheinbar geringe Änderung der Kundenabwanderung kann im Laufe der Zeit eine große Auswirkung haben.
Dazu ein Rechenbeispiel: Zwei Unternehmen starten mit einer Basis von je 10.000 Kunden. Die monatliche Churn Rate des ersten Unternehmens beträgt 2,5%, die des zweiten 1,5%. Schon nach 12 Monaten ist der Kundenstamm des zweiten Unternehmens um 13% größer als der des ersten.
Monat | Kunden bei Churn Rate 2,5% | Kunden bei Churn Rate 1,5% |
---|---|---|
0 | 10.000 | 10.000 |
1 | 9.750 | 9.850 |
2 | 9.506 | 9.702 |
3 | 9.269 | 9.557 |
4 | 9.037 | 9.413 |
5 | 8.811 | 9.272 |
6 | 8.591 | 9.133 |
7 | 8.376 | 8.996 |
8 | 8.167 | 8.861 |
9 | 7.962 | 8.728 |
10 | 7.763 | 8.597 |
11 | 7.569 | 8.468 |
12 | 7.380 | 8.341 |
Dieses Beispiel ist natürlich stark vereinfacht. In der Wirklichkeit ist der Erfolg der Neukundengewinnung ebenso wichtig für Wachstum wie eine niedrige Churn Rate.
Mit einer intensivierten Neukundengewinnung könnten Unternehmen die höhere Abwanderung ausgleichen. Der Haken: Je nach Branche ist die Neukundengewinnung um ein Vielfaches teurer als die Bindung eines Bestandskunden! Eine wirksame Churn Prevention ist also deutlich wirtschaftlicher.
Zudem generieren Kunden in vielen Branchen mit jedem weiteren Jahr höhere Profite. Eine Untersuchung von Bain&Company im Finanzsektor stellte z.B. fest, dass eine Verringerung des Customer Churn um 5% die Rentabilität der Unternehmen um 25% erhöhte.
3. Mit welchen Maßnahmen lässt sich Kundenabwanderung verhindern?
Bei Churn Prevention Maßnahmen lassen sich nach folgende Strategien unterscheiden. Die Strategien können dabei sowohl als „globaler Ansatz“ oder in gezielten Maßnahmen für einzelne Kunden umgesetzt werden.
Austrittsbarrieren
Diese Strategie beruht darauf, die Hürden (zeitlich, technisch, finanziell) für eine Abwanderung des Kunden zu erhöhen. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Leistung als Abonnement mit fester Laufzeit und Kündigungsfrist gegeben ist.
Aber auch „weichere“ Faktoren können Austrittsbarrieren sein. Diese können darin bestehen, ein Ökosystem oder eine Plattform zu schaffen, wie es z.B. Microsoft getan hat. Will der Kunde den Anbieter eines Produktes wechseln, muss er das gesamte Ökosystem wechseln.
Ein anderes Beispiel für weiche Austrittsbarrieren wäre die personalisierte Erfahrung beim Streaming-Anbieter Netflix: Wechselt der Kunde den Anbieter, muss dieser zunächst einmal wieder den Geschmack des Kunden erlernen, bevor ein gleichwertiges Erlebnis zustande kommt.
Kompensationsstrategie
Hat ein Kunde durch den Verkauf defekter Ware einen Nachteil erlitten, ist ein Verlustausgleich über den Ersatz des Schadens hinaus ein wirksames Mittel, um dem Kunden ein positives Gefühl der Wertschätzung zu vermitteln.
Dies ist eine Kernaufgabe des Kundenservices und wird in den meisten Unternehmen bereits verfolgt. Stellt sich bei der Analyse der Churn-Ursachen heraus, dass Abwanderung durch Fehler einen hohen Anteil ausmacht, sollten Sie eine Verbesserung des Kundenservices oder eine großzügigere Kompensationspolitik in Betracht ziehen.
Wenn dies z.B. aus finanziellen Gründen nicht praktikabel ist, bietet es sich an, diese Mittel gezielt bei besonders abwanderungsgefährdeten Kunden einzusetzen. Zur Identifikation dieser Kunden später mehr – siehe Churn Prediction.
Dialogstrategie
Diese Strategie entspricht dem klassische CRM-Ansatz, eine intensive Bindung des Kunden zum Unternehmen durch direkte Kommunikation zu erreichen. Der Kontakt kann in Person, häufiger noch über Kanäle wie E-Mail oder Call-Kampagnen stattfinden und personalisierte Inhalte können die Wirkung dieser Maßnahmen potenzieren.
Sie wirkt damit besonders der Abwanderung durch Wettbewerb entgegen.
Bereits die „gewöhnlichen“ Kundenbindungsprogramme tragen so zur Churn Prevention über den gesamten Kundenstamm hinweg bei.
Gezielte Dialogmaßnahmen bei besonders abwanderungsgefährdeten Kunden sind eine Möglichkeit, das Vertrauen des Kunden zurückzugewinnen und die Vorteile der Geschäftsbeziehung hervorzuheben.
Anreizstrategie
Diese Strategie besteht darin, Kunden durch kleinere Anreize zur Fortführung der Kundenbeziehung zu bewegen. Klassisch sind das finanzielle Anreize, wie Gutscheine, Sonderaktionen, Rabatte etc., aber auch Eventeinladungen.
Genau wie Churn Prevention mittels der Dialogstrategie bildet sie eine Erweiterung des Kundenbeziehungsmanagements und kann mit den Mitteln des Marketings/CRM umgesetzt werden. Bei Kundenabwanderung aufgrund von Wettbewerb ist ein finanzieller Anreiz oft das entscheidende Element.
Die Anreizstrategie kann die effektivste aller genannten Strategien sein – falsch angewendet aber auch die schlechteste. Ein Rabatt, der sämtlichen Kunden angeboten wird, kann schnell zur finanziellen Katastrophe werden.
Bei dieser Strategie ist es deshalb entscheidend, sie gezielt auf die richtigen Kunden anzuwenden. Wie das geht, zeige ich Ihnen im nächsten Abschnitt.
4. Wie ist das Vorgehen bei der Churn Prevention?
Erfolgreiche Churn Prevention ist kein einmaliges Ereignis, sondern ein langfristiger und wiederkehrender Prozess. Der gesamte Vorgang lässt sich in die folgenden vier Schritte einteilen.
4.1 Analyse der Kundenabwanderung
Die Analyse des Abwanderungsverhaltens ist die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Churn Prevention. Die notwendigen Daten liegen bereits im digitalen Schatz des Unternehmens vor. Einfache Kennzahlen können Sie daraus ohne großen Aufwand ermitteln.
Die einfachste Kennzahl ist die Churn Rate. Sie ist der Anteil der in einem Intervall abgewanderten Kunden im Verhältnis zu den Gesamtkunden zu Beginn des Beobachtungszeitraums.
Wie zuvor erläutert, ist es für erfolgreiche Churn Prevention Maßnahmen nötig, die Gründe hinter der Abwanderung zu erkennen. Mittels Korrelations- und Kohortenanalysen und tiefergehenden Methoden des Machine Learning lassen sich Muster im Abwanderungsverhalten erkennen und Gründe ableiten.
Für einen tieferen Einstieg schauen Sie sich: Churn Analyse an.
Interessant ist darüber hinaus die Untersuchung, wann die Kündigung stattfindet. In welcher Phase des Kundenlebenszyklus entscheidet sich der Kunde für die Abwanderung? Hier gibt es große Unterschiede. Ganz allgemein wird zwischen früh/early, mittel/mid und langfristig/late Churn unterschieden.
Wie die Abwanderung auf diese Phasen verteilt ist, ist sehr von Dienstleistung, Produkt, Laufzeit und Vertrag abhängig.
Digitale Produkte wie Apps zeigen zum Beispiel einen sehr frühzeitigen Absprung und verlieren bereits in den ersten Tagen oder Wochen einen Großteil der neuen Kunden.
Im Vergleich:
Bei Telekommunikationskonzernen dagegen, die langfristige Verträge über 12-24 Monate anbieten, ist eher der mittelfristige und langfristige Churn im Fokus, also die Abwanderung in späteren Kundenlebenszyklen.
Bereits aus dieser Analyse können erste Maßnahmen zur Churn Prevention folgen: Haben beispielsweise Änderungen an Produkten oder Preisen die Kündigungsrate erhöht, können diese angepasst werden.
Gibt es einen hohen Anteil von Early Churn, muss womöglich die Erfahrung für Neukunden verbessert werden. Steigt die Churn Rate zum Zeitpunkt einer Vertragsverlängerung stark an, sollten für alle Kunden zu diesem Zeitpunkt Maßnahmen getroffen werden.
4.2 Churn Prediction Score, Alarm und Monitoring
Aber nicht alle Anzeichen für eine drohende Kundenabwanderung sind so eindeutig für den menschlichen Beobachter zu erkennen – und hier kommt die Churn Prediction ins Spiel. Mittels maschinellem Lernen können auch hoch komplexe Muster im Kundenverhalten entdeckt und für die Vorhersage eines individuellen Risikoscores für jeden Kunden genutzt werden.
Diese Scores können das allgemeine Churn-Risiko beschreiben, aber auch auf bestimmte Fälle – z.B. Delinquent Churn („Kündigung durch Zahlungsausfall“) spezialisiert sein.
Wird ein Churn Prediction Modell in einem CRM-System operationalisiert, kann täglich ein aktueller Risikoscore für jeden einzelnen Kunden bereitgestellt werden. Diese Scores dienen nun als Grundlage für regelmäßig oder ad-hoc durchgeführte Maßnahmen zur Kündigerprävention.
Alternativ kann ein permanentes Monitoring der Scores eingeführt werden, sodass bei Überschreitung einer gewissen Schwelle – oder einer tatsächlichen Kündigung des Kunden – ein Alarm und aktive Kündigerprävention ausgelöst wird.
Hier finden Sie Details zu Churn Prediction.
4.3 Gezielte proaktive Kündigerprävention
Mit dieser Vorbereitung können nun gezielte Maßnahmen zur Churn Prevention getroffen werden. Die verwendete Strategie richtet sich nach dem in dem Fall relevanten Kündigungsgrund.
Die richtigen Kunden können auf Basis des Scores ermittelt werden: Bei Ausspielung eines Rabatts z.B. sollten nur die Kunden angeschrieben werden, bei denen aufgrund des hohen Churn-Risikos ein positiver Deckungsbeitrag der Aktion angenommen werden kann.
4.4 Kontinuierliche Verbesserung / Messung
Ist eine solche Churn Prevention Strategie erst einmal formuliert und als Prozess aufgesetzt, folgt der Punkt, der am wichtigsten für den langfristigen Erfolg ist:
Relevante Kennzahlen wie die Churn Rate und die Effizienz der Churn Prevention Maßnahmen müssen durchgängig erfasst und ausgewertet werden. Das ermöglicht eine kontinuierliche Anpassung und Verbesserung der Churn Prevention.
5. Churn Prevention in der Praxis: drei Beispiele
Wie sieht Kündigerprävention in der Praxis aus? Das hängt wesentlich von der Datengrundlage und dem Vertrags- oder Kundenverhältnis ab.
Für langfristige Verträge
Die Telekommunikationsbranche ist ein gutes Beispiel für langfristige Verträge. Die Bindung an einen Anbieter erfolgt oftmals für zwei Jahre. Daraus ergibt sich ein sehr langer Zeitraum, über den das Unternehmen proaktiv tätig werden kann, um eine eventuelle Kundenabwanderung zu vermeiden. Zudem gibt es eine moderate Datengrundlage sowie Nutzungsdaten, die für die Analyse wertvoll sind.
Für Abonnements und Subscriptions
Die meisten Abonnements haben eine wesentlich kürzere Laufzeit als zwei Jahre, viele sind sogar monatlich kündbar. Nehmen wir als Beispiel ein Abo bei einem Online-Portal. Hier steht eine große Menge an Nutzungsdaten zur Verfügung, die eine sehr präzise Churn Prediction erlaubt.
Eine eventuelle Kundenabwanderung lässt sich so sehr gut vorhersagen, dank fundierter Kundenprofile ist eine individuelle Kündigerprävention möglich. Allerdings ist die Zeit begrenzt. Um erfolgreich zu sein, muss das Unternehmen kurzfristig reagieren.
Churn Prevention für Mobile-Apps
Apps sind ein Extrembeispiel für Kundenabwanderung. Dazu einige Zahlen: Im Mittel verlieren Mobile Apps 77 % ihrer potentiellen Kunden innerhalb der ersten drei Tage. Nach 90 Tagen werden durchschnittlich nur noch 5 % der Installationen aktiv genutzt.
Für den Anbieter ist es erfolgsentscheidend, die Churn Rate möglichst niedrig zu halten. Dafür ist schnelles Handeln auf einer eher schwachen Datengrundlage nötig.
6. Zusammenfassung: Churn Prevention auf einem Blick
Eine moderne, operationalisierte Churn Prevention Strategie beinhaltet vier Elemente: datengetriebene Analyse, Monitoring des Risikos, gezielte, automatisierte Maßnahmen und kontinuierliche Verbesserung.
Gerade in einem gesättigten Markt ist Churn Prevention ein unverzichtbares Mittel, um organisches Wachstum zu ermöglichen. Gezielte, personalisierte Maßnahmen mithilfe von datengetriebener Churn Prediction können dabei den entscheidenden Vorteil gegenüber allgemeinen Kundenbindungsmaßnahmen bringen.
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Quellenangaben:
- F. Reichheld, „Prescription for cutting costs,“ 25 Oktober 2001. [Online].
- M. Bruhn und S. Boenigk, „Kundenabwanderung als Herausforderung des Kundenbindungmanagements,“ in Handbuch Kundenbindungsmanagement, Wiesbaden, Gabler, 9. Auflage 2017.
- S. Boenigk, „Kündigungspräventionsmanagement,“ in Grundlagen des CRM, Wiesbaden, Gabler, 3. Auflage 2011.